Tragische Zerstörung eines der größten europäischen nichtstaatlichen Museen im Herzen Moskaus

03.06.2017 – Am 17. Mai 2017, anlässlich einer Fragestunde in der russischen Duma, äußerte der Minister für Kultur der Russischen Föderation, Vladimir Medinskij, die Hoffnung, dass „die kriminelle Geschichte der Einbehaltung der Kunstsammlung des Sowjetischen Roerich-Fonds“ in Kürze zu seinem Ende kommt. Weiter erklärte er, dass der Wert der Sammlung „nach Meinung internationaler Experten mehr als 15 Mrd. Rubel beträgt“. 15 Mrd. Rubel, das sind rund 240 Millionen Euro…

In seinem Auftritt versprach er den Abgeordneten, dass der Nachlass der Roerich-Familie in die schützenden Hände der Russischen Föderation zurückkehren werde. „Glauben Sie mir, die Gemälde der Roerichs, ihr Werk und ihr Nachlass müssen nicht länger leiden,  sondern sie kehren endlich in den Schoß des Staates zurück, dahin, wohin die Roerichs ihn auch verfügt haben,“ sagte Medinskij.

Von was sprach Minister Medinskij? Der Nachlass der Roerichs war doch bereits in Russland, nämlich im nichtstaatlichen Nikolaj-Roerich-Museum der internationalen nichtstaatlichen Gesellschaft „Internationales Roerich-Zentrum“.

Nikolaj Konstantinovitsch Roerich (1874 – 1947) war ein begnadeter russischer Künstler, Gelehrter, Philosophie und Gesellschaftsträger von Weltformat. Er war Initiator des ersten internationalen Abkommens über den Schutz von künstlerischen und wissenschaftlichen Einrichtungen sowie historischer Denkmäler. Der „Roerich-Pakt“ wurde am 15. April 1935 im Weißen Haus zu Washington unterzeichnet und ist bis heute gültiges Dokument für den Schutz des Kulturerbes der gesamten Menschheit. Dieses Abkommen diente der UNESCO im Jahre 1954 als Grundlage für die „Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten“.

Svetoslav Roerich (1904 – 1993), jüngster Sohn von Nikolaj Roerich und Staatsbürger Indiens, übergab im Jahre 1990 seinen Teil des Familienerbes an Russland (damals noch UdSSR). Dies jedoch nur unter zwei Bedingungen:  Erstens ist der Nachlass ausschließlich im nichtstaatlichen Nikolaj-Roerich-Museum unterzubringen, und zweitens müssen im Zentrum von Moskau für dieses Museum die Gebäude des Lopuchin-Anwesens, einem Architekturdenkmal des 17. – 19. Jahrhunderts in Nähe des Kremls, zur Verfügung gestellt werden. Svetoslav Roerich war der Überzeugung, dass das russische Volk seine Werte besser bewahren könne als Kulturbeamte.

Bei Übergabe des Nachlasses erhielt Svetoslav Roerich eine Garantie des Staates und von Präsident Gorbatschow persönlich, dass in Moskau ein solches nichtstaatliches Nikolaj-Roerich-Museum als struktureller Bestandteil einer internationalen nichtstaatlichen Organisation entstehen wird.

Ludmila Shaposhnikova (1926 – 2015), eine bekannte Indologin, wurde zu seiner Treuhänderin mit allen Befugnissen. Seit Beginn der 1990-er Jahre führte sie als Direktorin des Museums umfangreiche Arbeiten zur Restaurierung des historischen Lopuchin-Anwesens und zum Aufbaus eines wunderbaren Museums durch, das bis vor Kurzem noch von Tausenden Besuchern aus aller Welt besucht wurde.  Die Kosten für die Restaurierung der Gebäude des Lopuchin-Anwesens würden heute mehrere Dutzend Millionen Euro verschlingen. Finanziert und umgesetzt wurde das Projekt mit Hilfe von Stiftern und Spenden Tausender Bürger.

Das Roerich-Zentrum und sein Museum mit Sitz in Moskau ist als Kulturorganisation das größte Zentrum zur Erforschung und Verbreitung des künstlerischen, wissenschaftlichen und philosophischen Nachlasses der Roerich-Familie. Mit Hilfe einer breiten Öffentlichkeit in Russland und der ganzen Welt ist es dem Roerich-Zentrum gelungen, das von Svetoslav Roerich übergebene Erbe der Roerichs zu bewahren und zu mehren. Besonders hervorzuheben ist die friedensstiftende Arbeit des Zentrums zur Fortführung von Roerichs Ideen zur Bewahrung der kulturellen Errungenschaften der Menschheit aus dem Roerich-Pakt. Das Internationale Ausstellungsprojekt „Der Roerich-Pakt. Geschichte und Gegenwart“ wurde seit 2012 in mehr als 150 Städten Russland sowie in 17 Ländern der Welt gezeigt. Die Ausstellungen wurden unter Schirmherrschaft der UNESCO und in Kooperation mit vielen internationalen Organisationen durchgeführt. In Russland wurde dieses Projekt als größte nichtstaatliche Initiative im Bereich Kulturschutz anerkannt. Hochachtung wurde dem Ausstellungsprojekt durch UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon und Irina Bokova, Generaldirektorin der UNESCO, gezollt.

Seit seiner Gründung hat das Internationale Roerich-Zentrum aktiv mit dem russischen Ministerium für Kultur und anderen Staatsorganen zusammengearbeitet. Ohne eine derartige enge Kooperation wäre es ja auch undenkbar, Kulturprogramme, Projekte, Wanderausstellungen und Konferenzen durchzuführen, sowie verlegerisch tätig zu sein.

Allerdings ist bereits aus der Geschichte bekannt, dass einzelne Persönlichkeiten, insbesondere Machthaber, einen wesentlichen Einfluss auf den Lauf von Ereignissen haben können. Und so geschah es auch, als im Mai 2012 ein neuer Minister für Kultur ernannt wurde: Vladimir Medinskij. Mit seiner aktiven Beteiligung begann eine großangelegte Kampagne gegen das nichtstaatliche Nikolaj-Roerich-Museum.

Bereits früher unternahm das Staatliche Museum für Orientalistik (auch bekannt als Staatliches Museum des Ostens) Versuche nachzuweisen, dass das Internationale Roerich-Zentrum keinerlei Rechte am von Svetoslav Roerich übergebenen Nachlass der Roerich-Familie habe. Jedoch bestätigten russische Gerichte zweimal, im Jahr 2002 und 2011, dass sich der Nachlass rechtmäßig im nichtstaatlichen Museum befindet.

In den letzten Jahren änderte die Führung des Kulturministeriums unter Ausnutzung seiner administrativen Ressourcen „den Lauf der Geschichte“. Und so wird seit 2013 ein offensichtlich geplanter Maßnahmenkatalog umgesetzt mit dem Ziel, das nichtstaatliche Nikolaj-Roerich-Museum des Internationalen Roerich-Zentrums zu liquidieren.

In seinem Schreiben vom 11.11.2013 an den russischen Präsidenten Putin gab Kulturminister Medinskij unrichtige Informationen über das Internationale Roerich-Zentrum und eine aus fast 300 Bildern bestehende Sammlung Svetoslav Roerichs, die sich im Staatlichen Museum des Ostens befindet. Die Leitung des Internationalen Roerich-Zentrums erklärte wiederholt, dass besagte Sammlung von Svetoslav Roerich an das Roerich-Zentrum übergeben wurde, was in rechtsgültigen Dokumenten festgelegt wurde. Daher war das rechtmäßige Bestreben des Roerich-Zentrums zum Erhalt der Sammlung keinesfalls die Absicht zur Aneignung von Staatseigentum, wie dies der Kulturminister in seinem Schreiben darstellte.

Die Notiz Putins auf Medinskijs Schreiben „Ergreifen Sie die zum Schutz der Staatsinteressen notwendigen Maßnahmen“ spielte ihre Rolle beim Moskauer Amtsgericht als Anweisung, wessen Interessen zu schützen seien. Und so gelang es dem Kulturministerium im Jahre 2014, den Gerichtsbeschluss von 2011 zu kassieren, in welchem dem Internationalen Roerich-Zentrum der Nachlass auf Grundlage des Vermächtnisses von Svetoslav Roerich zugesprochen wurde.

Die Bestrebungen des Kulturministeriums werden vom Internationalen Roerich-Zentrum in einer Erklärung als „Bestrebung zur erneuten Verletzung des dokumentierten Willens von Svetoslav Roerich bezüglich des an Russland übergebenen Nachlasses“ verstanden.

Alexander Stetsenko, Vizepräsident des Internationalen Roerich-Zentrums erklärte: „Jedwede Handlungen in dieser Richtung, egal wer sie durchführt, führt zu nichts Gutem. In solch einem Krieg gibt es keinen Sieger, sondern nur Verlierer. Und diese sind in erster Linie das russische Volk und seine kulturellen Errungenschaften. Es besteht die reale Gefahr, dass im Falle der Aberkennung des Rechts auf diesen Teil des Roerich-Erbes, dieser das gleiche Schicksal erleidet wie der im Jahre 1957 von Jurij Roerich an Russland übergebene erste Teil des Familienerbes, der nach seinem unerwarteten Tod im Jahr 1960 in seiner Wohnung verblieb. Dieser Teil ging unwiederbringlich verloren. Eine Wiederholung dieser Tragödie dürfen wir nicht zulassen.“

Nach dem Tod von Ludmila Shaposhnikova, der Vertrauten von Svetoslav Roerich, stieg der Druck von Seiten der Staatsbediensteten. Ende 2015 wurden die Gebäude des Lopuchin-Anwesens kurzfristig aus dem Eigentum der Stadt Moskau in Staatseigentum übergeben. Anschließend wurde die operative Leitung des Anwesens an das Staatliche Museum des Ostens übertragen. Hierbei verblieben das Internationale Roerich-Zentrum und sein nichtstaatliches Museum in diesen Gebäuden zur bis 2024 vertraglich vereinbarten kostenfreien Miete.

Von Ende 2015 bis 2017 wurden das Internationale Roerich-Zentrum und sein Museum in mehr als 20 außerplanmäßigen Kontrollen durch die verschiedensten staatlichen Instanzen überprüft. Diese Überprüfungen wurden unter teilweise absurden Beschuldigungen angeordnet, die bis hin zum Verdacht auf Extremismus führten. Verstöße hinsichtlich der Aufbewahrung des Nachlasses oder der Tätigkeiten des Internationalen Roerich-Zentrums und seines Museums konnten von niemandem vermeldet werden. Ganz im Gegenteil: Das hohe Niveau der musealen Arbeit und der Bewahrung der Exponate wurde sogar bescheinigt.

Wurden im Zusammenhang mit den Handlungen des Kulturministeriums im Jahr 2015 „nur“ zwei Gerichtsprozesse gegen das Internationale Roerich-Zentrum geführt, so war das Roerich-Zentrum im Jahr 2016 bereits an 13 (!) Gerichtsprozessen beteiligt. Die Führung des Kulturministeriums und des Staatlichen Museums des Ostens starteten eine offene Medienkampagne zur Zerstörung des guten Rufes des Internationalen Roerich-Zentrums. Die zentralen Programme des russischen Fernsehens gaben der Führung des Ministeriums eine Plattform zur Verbreitung nicht wahrheitsgemäßer Angaben zum Schaden des Internationalen Roerich-Zentrums. Die Organisation hatte nur geringe Möglichkeiten, sich zu verteidigen. Praktisch alle Zugänge zu den zentralen Medien waren verwehrt. Eine enorme Anzahl von Briefen und Eingaben an die verschiedensten staatlichen Einrichtungen, geschrieben von Bürgern und öffentlichen Organisationen Russlands und anderer Länder fanden kein Echo, da sie zur Beantwortung weitergeleitet wurden – an das Ministerium für Kultur. Und von dort wurde förmlich geantwortet und auf ein Gerichtsurteil von 2014 verwiesen, welches der nichtstaatlichen Organisation Roerich-Zentrum das Recht auf den Nachlass der Roerich-Familie und die Rechtsnachfolge des sowjetischen Roerich-Fonds abspricht.

Natürlich waren die offen im nichtstaatlichen Nikolaj-Roerich-Museum gezeigte wertvolle Bildersammlung, die Familienarchive und die wunderschön restaurierten Gebäude eines Architekturdenkmals im Zentrum von Moskau, weniger als 1 Kilometer vom Kreml entfernt, von größtem Interesse. „Das Kulturministerium hatte keine rechtliche Handhabe für die Zerschlagung des nichtstaatlichen Museums,“ so Alexander Stetsenko, „und musste daher wohl den Weg grober Methoden, des Betrugs und der Überschreitung dienstlicher Kompetenzen gehen.“

Und so wurden am 7. März, am Vorabend des Internationalen Weltfrauentages, und dem darauffolgenden Tag im nichtstaatlichen Nikolaj-Roerich-Museum Hausdurchsuchungen unter Beteiligung von polizeilichen Spezialeinsatzkräften durchgeführt. Die Repräsentanten von Kulturministerium und Staatlichem Museum des Ostens beteiligten sich aktiv am gewaltsamen Eindringen in das Zentrum und Museum und der Beschlagnahme von Eigentum. Im Laufe dieses „Sondereinsatzes“ wurden die Mitarbeiter des Roerich-Zentrums durchsucht, verhört und für einen Tag von der Außenwelt isoliert. Die Videoüberwachung wurde deaktiviert, die Alarmanlagen wurden ausgeschaltet. Ungestört konnten so Gemälde der Roerichs und weitere Kunstgegenstände „beschlagnahmt“ werden, die dem Museum in den Jahren 1990 bis 2013 gestiftet wurden. Es wurden mehr als 200 Kunstgegenstände beschlagnahmt und in das Staatliche Museum des Ostens verbracht. Der Prozess der „Beschlagnahme“ selbst erfolgt unter Missachtung jeglicher Rechtsnormen: ohne die Anwesenheit von Museumsmitarbeitern und ohne für den Transport von Gemälden geeigneter Verpackungsmittel wurden die Gemälde in für derartige Transport nicht geeignete Fahrzeuge verladen. Mit den Kunstgegenständen wurden sämtliche Schenkungsdokumente und deren Kopie beschlagnahmt. Das Museum wurde faktisch beraubt.

Zum Hintergrund: Die Aktion wurde durchgeführt im Zuge von Ermittlungen gegen die Geschäftsführung der Master-Bank, der im Jahr 2013 die Lizenz entzogen wurde. Einer der Mäzene des Nikolaj-Roerich-Museums war Boris Bulotschnik, einer der Mitgründer der Master-Bank. Bulotschnik unterstützte viele Kultureinrichtungen und Fonds in Russland. Mit eigenen Finanzmitteln (nichts anderes ist bewiesen) erwarb Bulotschnik Gemälde der Roerichs auf Auktionen im Ausland und brachte sie so, als Schenkung an ein nichtstaatliches Museum in Moskau, nach Russland zurück. Er leistete einen großen Beitrag zur Restaurierung der Gebäude des Lopuchin-Anwesens und unterstützte viele Kulturprogramme des Zentrums und Museums.  

Die russische Öffentlichkeit sieht die Handlungen der Vertreter des Kulturministeriums und des Museums des Ostens am 7. Und 8. März als Willkür, die die Staatsmacht in aller Öffentlichkeit diskreditiert. Weiterhin wird die Anwendung von Gewalt gegen das Museum als schwere Schädigung des Rufs Russlands empfunden.

Das Museum und seine Mitarbeiter unterliegen keiner Strafverfolgung, sie haben keinerlei Bezug zu irgendwelchen finanziellen Machenschaften. Zu keiner Zeit gab es die Verweigerung der Zusammenarbeit mit Rechtsschutzorganen oder Prüfbehörden. Man hätte derartige brutale und grobe Handlungen vermeiden können.

Alle Eingaben von Bürgern und Museumsmitarbeitern wurden von Kontrollorganen und der Staatsführung mit Stille beantwortet. Warum sollte man sich auch aufregen? Die Schaffung eines staatlichen Roerich-Museums in dem grandiosen Anwesen war bereits beschlossene Sache. Dieser Beschluss wurde kurzfristig im Februar 2016 im Kulturministerium gefasst. Bleibt nur noch die Aufgabe, die Gebäude von einer bekannten nichtstaatlichen Organisation zu säubern, in deren Händen das wertvolle Roerich-Erbe ist.

Am 20. März 2017 entschied das Moskauer Schiedsgericht, nach mehrmonatigen Verhandlungen, einer Klage des Staatlichen Museums des Ostens stattzugeben und den Vertrag über die kostenfreie Vermietung des Lopuchin-Anwesens an das Internationale Roerich-Zentrum aufzulösen und eine Räumung zuzulassen. Sämtliche Nachweise und Dokumente, die das Roerich-Zentrum zu seiner Verteidigung eingereicht hatte, wurden nicht berücksichtigt. Die Beauftragung eines unabhängigen Gutachtens zum Zustand der vom nichtstaatlichen Museum genutzten Gebäude wurde abgelehnt.

Nach allgemeiner Rechtspraxis tritt ein Gerichtsurteil erst in Kraft, nachdem eine vom Gericht festgelegte Widerspruchsfrist abgelaufen ist. Ein Gerichtsentscheid wird erst dann rechtsgültig, wenn ein Berufungsverfahren abgeschlossen ist. Im vorliegenden Fall endete die Berufungsfrist am 7. Mai, eingereicht wurde die Berufung durch das Roerich-Zentrum am 5. Mai 2017.

Bis zum Berufungsurteil wird noch einige Zeit vergehen. Aber die hatte man wohl im Staatlichen Museum des Ostens nicht. Ohne Warten auf die Rechtsgültigkeit des Gerichtsentscheides versuchte die Museumsleitung eine gewaltsame Aneignung der Gebäude. Am Freitag, den 28. April 2017, erfolgte um 21:30 Uhr in Moskau die Besitznahme des Lopuchin-Anwesens. Die Besetzung des Gebäudes erfolgte durch eine bewaffnete Personengruppe unter Leitung von Leuten in Polizeiuniform. Dokumente, die die Rechtmäßigkeit ihres Tuns rechtfertigten, wurden nicht gezeigt. Leiter der gesamten Aktion war der Generaldirektor des Museums des Ostens, Alexander Sedov.

Dieses Geschehnis hat sich keine nichtstaatliche Organisation ausgedacht. Zeuge dieses Überfalls auf das nichtstaatliche Museum war Ivan Sasurskij, Mitglied des Rates des Präsidenten der Russischen Föderation für Menschenrechte. Auch er wurde nach dem Konzert des bekannten bulgarischen Pianisten Atanas Kurtev festgehalten. Die Ereignisse im Roerich-Zentrum zur Besitznahme des Lopuchin-Anwesens erregte auch die Aufmerksamkeit des Präsidentenberaters für Menschenrechte, Mikhail Fedotov. Fedotov und ein weiteres Mitglied des Rates für Menschenrechte, Andrej Babushkin, kamen zum Internationalen Roerich-Zentrum, wurden jedoch erst nach einer Stunde von der Security des Staatlichen Museums des Ostens auf das Gelände des Lopuchin-Anwesens gelassen.

Offensichtlich passte die Aufmerksamkeit des Beraters des Präsidenten der Russischen Föderation nicht in die Pläne der Führung des Museums des Ostens. Und so wurde am 29. April eine Untersuchungsgruppe eingeschaltet, die sich mit der Aufklärung des Falles „Master-Bank“ befasst. Gegen 19 Uhr fuhren Autos auf das Gelände des Anwesens. In ihnen saßen neben den Ermittlern auch Einsatzkräfte der OMON und Mitarbeiter des Staatlichen Museums des Ostens. Es begann eine Durchsuchung ohne Vorlage der für derartige Aktionen notwendigen Dokumente. Da man kurz vor den Maifeiertagen stand, hatte man sich offensichtlich in Eile vorbereitet. Der Leitung des Internationalen Roerich-Zentrums wurde die Anwesenheit während der Durchsuchung verwehrt. Die Beschlagnahme von Buchhaltungsdokumenten und Zeichnungen der Roerichs wurde in Abwesenheit der zuständigen Buchhalter und verantwortlichen Archivare des Roerich-Nachlasses durchgeführt. Die Untersuchungsgruppe nahm der Museumsleitung die Schlüssel vom Depot und den Sälen des Museums weg und übergab sie der Leitung des Museums des Ostens. Im Protokoll wurde vermerkt, dass das Lopuchin-Anwesen zur verantwortlichen Verwahrung an den Direktor des Staatlichen Museums des Ostens, Herrn Sedov, mitsamt dem kompletten Eigentum des Internationalen Roerich-Zentrums und den darin befindlichen persönlichen Gegenstände der Mitarbeiter übergeben wird. Hierbei wurden weder ein Übergabeprotokoll noch eine Aufstellung des übertragenen Eigentums angefertigt.

All dies zeigt das wahre Ziel der „Untersuchungsmaßnahme“: Gewähr des Zugriffs auf den Nachlass der Roerichs durch die Beamten des Staatlichen Museums des Ostens, der in keinem Strafverfahren auftauchen darf.

Und so erfolgte, unter dem Deckmantel von Ermittlungen zum Bankrott der Master-Bank, der Überfall auf das Lopuchin-Anwesen und den dortigen Roerich-Nachlass, der dem Internationalen Roerich-Zentrum gehört.

Der Zeitpunkt der bevorstehenden Maifeiertage wurde offensichtlich nicht zufällig ausgewählt. Immerhin war es so mehr als 10 Tage unmöglich, staatliche Organe auf die gesetzeswidrige Handlung aufmerksam machen zu können. Während dieser Zeit, in der Regel abends oder nachts, hatten die verantwortlichen Personen des Staatlichen Museum  des Ostens, der Berater des Ministers für Kultur der Russischen Föderation sowie ein bei allen Aktionen anwesender Vertreter aus den USA uneingeschränkten Zugang zu den Gebäuden des Museums, zum Archiv und den Diensträumen des Internationalen Roerich-Zentrums. Nach Zeugenaussagen von Mitarbeitern des Museums, die rund um die Uhr am Lopuchin-Anwesen wachen, wurde vom Territorium des Anwesens Eigentum der Organisation in Fahrzeugen weggebracht, Personen trugen in Taschen und Rucksäcken Sachen heraus. Es steht zu befürchten, dass es zu unkontrolliertem Verschwinden von Archivdokumenten und zum Austausch von Originalen der Gemälde kommt. Mitarbeiter des Roerich-Museums haben bereits öffentlich erklärt: „Wir sind äußerst beunruhigt und besorgt, dass im nichtstaatlichen Nikolaj-Roerich-Museum ohne jegliche Rechtsgrundlagen und unter völliger Duldung durch die Rechtsschutzorgane unbefugte Personen aktiv sind, die nach eigenem Gutdünken nicht nur über die musealen Kostbarkeiten und Archive unserer Organisation verfügen, sondern auch über die persönlichen Gegenstände der Museumsmitarbeiter. Wir schließen nicht aus, dass es in Kürze zu Verlusten, Bilder- und Urkundenfälschung kommen kann.“

Welches russische Museum würde derart illegale Aktionen wagen, hätte es nicht die Unterstützung übergeordneter staatlicher Strukturen? Das Staatliche Museum des Ostens ist dem Ministerium für Kultur direkt unterstellt…

In der Nacht des 1. Mai, gegen 3 Uhr früh, holten Mitarbeiter des Staatlichen Museums des Ostens das „Banner des Friedens“ ein. Dies ist das Markierungszeichen des Roerich-Paktes, des ersten internationalen Kulturschutzabkommens. Soviel zur Würdigung der humanistischen Ideen Nikolaj Roerichs, der der Welt den Ausweg aus zahllosen Kriegen und bewaffneten Konflikten aufzeigte – mit „Frieden durch Kultur“.

Es ist unzulässig, vor der Entscheidung des Berufungsgerichts den Mietvertrag für ungültig zu erklären und das Internationale Roerich-Zentrum auf die Straße zu setzen. Trotzdem wird den Mitarbeitern und der Leitung des Museums der Zutritt zum Museum verwehrt, ihnen wird die Möglichkeit zur Arbeit verwehrt. Dem Roerich-Zentrum wurde das gesamte Eigentum ohne Gerichtsentscheid weggenommen, den Mitarbeitern ihre persönlichen Gegenstände. Die Handlungen an den Tagen des Überfalls hat die Öffentlichkeit auf Video festgehalten, es gibt Beweise und Augenzeugen.

Seit der gewaltsamen Einnahme des Lopuchin-Anwesens lassen die Sicherheitsleute des Staatlichen Museums des Ostens selbst die Techniker des Roerich-Zentrums, die für die Unversehrtheit der Exponate in den Sälen des Museums und die Gewährleistung der Sicherheit im Manuskriptarchiv und der Privatbibliothek der Roerichs zuständig sind, nicht in die Räumlichkeiten. Mittlerweile gibt es bereits Hinweise auf eine erhöhte Feuchtigkeit und Pilzbildung in den Museumslagern aufgrund der Fahrlässigkeit derjenigen, die das Gebäude an sich gebracht haben. Auf der Website des Internationalen Roerich-Zentrums sind die gesamte Chronologie der Ereignisse sowie die bislang bekannten Fakten über Stromausfall und Ausfall der Klimatisierung im Manuskriptarchiv der Roerich-Familie dokumentiert.

Es gibt also allen Anlass zur Sorge, dass dem Kulturnachlass der Roerichs Schaden zugefügt wird, einem Nachlass nicht nur nationaler, sondern weltweiter Bedeutung. Und wie auf Bestellung informieren die staatlichen Medien die Bevölkerung darüber, dass die Gebäude auf Weisung des Gerichts für die Errichtung des Staatlichen Roerich-Museums an das Staatliche Museum des Ostens übergeben wurden. Mit keinem Wort werden die krassen Verletzungen der Verfügung Svetoslav Roerichs als Stifter des Nachlasses oder die Gesetzesverletzungen durch die Staatsdiener erwähnt.

Unabhängige Juristen haben bereits jetzt schon vielfältige Verletzungen der russischen Gesetze festgestellt:

  • Überschreitung dienstlicher Kompetenzen durch die Leitung des Staatlichen Museums des Ostens und die Beamten des Ministeriums für Kultur der Russischen Föderation;
  • Überschreitung der dienstlichen Kompetenzen der Untersuchungsbehörde. Die Übertragung zur verantwortlichen Verwahrung gilt in einer Strafangelegenheit nur für Beweismittel. Weder das Lopuchin-Anwesen, noch die von Svetoslav Roerich an das Roerich-Zentrum übergebene Kollektion und das Archiv der Roerich-Familie, und schon gar nicht die persönlichen Gegenstände der Mitarbeiter des Museums und das Eigentum der Organisation sind Beweismittel im Untersuchungsfall der Master-Bank;
  • Das Staatliche Museum des Ostens ist kein rechtmäßiger Besitzer, dem die Untersuchungsbehörde das Anwesen samt Eigentum hätte in verantwortliche Verwahrung übergeben dürfen. Rechtmäßiger Besitzer ist nach wie vor das Internationale Roerich-Zentrum.

Nach Worten der Leitung des Internationalen Roerich-Zentrums ist die Besitznahme des nichtstaatlichen Museums in Moskau der Höhepunkt eines jahrelangen juristischen Dramas. Seine Gründe liegen in dem fortwährenden Unwillen des Ministeriums für Kultur der Russischen Föderation, den rechtmäßigen Willen des Erben und die Zusagen Michail Gorbatschows an Svetoslav Roerich über die Bedingungen zur Übergabe des Nachlasses der Roerich-Familie an die UdSSR und nachfolgend an die Russische Föderation zu erfüllen.

Tausendfache Eingaben von Bürgern an die verschiedenen Staatsorgane wie Staatsanwaltschaft, Innenministerium, Präsidialamt, Fraktionsvorsitzende der parlamentarischen Partien und dergleichen blieben entweder unbeantwortet oder wurden wie vorgedruckt beantwortet.

Die Einzigen, die sich zum Schutz des Museums erhoben und ihre Position bekundeten, waren Tausende rechtschaffener Bürger eines modernen Russlands sowie Menschen aus dem nahen und fernen Ausland. Und so kamen Immerhin mehr als 240.000 Unterschriften zum Schutz des Museums in einer Petition. Aber nicht ein einziges staatliches Organ möchte sich einmischen und ein Museum schützen. Recht, Ehre und Würde – alles in den Boden gestampft!

Es bleibt zu hoffen, dass der Aufruf aus dem Statement des Internationalen Roerich-Zentrums zur gewaltsamen Besitznahme der Gebäude und des Eigentums der Organisation am 28. – 29. April 2017 nicht im Rest der Welt ungehört bleibt:

„Das Internationale Roerich-Zentrum ruft die internationale Gesellschaft, die UNO, die UNESCO und alle, denen das großartige kulturelle Erbe der Roerichs, (…) nicht gleichgültig ist, dazu auf, eine internationale nichtstaatliche Kommission zu bilden, die diese strafbare Handlung aufklärt, die verletzten staatlichen Verpflichtungen gegenüber Svetoslav Roerich sowie die Rechte des Internationalen Roerich-Zentrums auf das ihm von Svetoslav Roerich übergebene Erbe wiederherstellt.“

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