05.04.2017 – Offener Brief an ICOM Russland
von der Belegschaft des nichtstaatlichen Nikolaj-Roerich-Museums
des Internationalen Roerich-Zentrums,
Kollektivmitglied des ICOM seit 2007
Verehrte Kollegen!
Am 7. und 8. März wurde ein beispielloser Schlag gegen das unabhängige nichtstaatliche Nikolaj-Roerich-Museum des Internationalen Roerich-Zentrums geführt. Durchgeführt wurde diese Aktion unter aktiver Beteiligung von Vertretern des Ministeriums für Kultur der Russischen Föderation und des Staatlichen Museums für Orientalische Kunst unter dem Deckmantel von Durchsuchungsmaßnahmen durch Strafverfolgungsbehörden. Unterstützt wurde die Aktion von bewaffnete Spezialeinsatzkräfte.
Erstmals in der Geschichte unseres Landes widerfuhr einer Kultureinrichtung eine derart deutliche Gewalt.
Dieser öffentliche Akt von Gewalt gegenüber einem unabhängigen Kulturzentrum vor den Augen des gesamten Landes wurde zur Apotheose einer Politik der Ungeduld des Ministeriums für Kultur der Russischen Föderation mit nichtstaatlichen Museen. Diese Politik ist bereits seit vier Jahren offen ausgerichtet auf die Vernichtung des größten nichtstaatlichen Museums Russland, des Nikolaj-Roerich-Museums der Internationalen Roerich-Zentrums.
Am Morgen des 7. März 2017 drangen mehr als 50 Personen, darunter maskierte OMON-Kräfte, in das Museumsgebäude ein und lähmten für 18 Stunden die gesamte Arbeit der Museumsmitarbeiter. Sie beschlagnahmten mehr als 200 Bilder und Zeichnungen der Roerichs aus Ausstellungsräumen und Depots und transportierten sie ab. Genauso verfuhr man mit Originalen und Kopien von Dokumenten aus der Abteilung für Museumsbestand und weiteren Bereichen des Roerich-Zentrums. Diese Handlungen wurden, so wurde uns anschließend mitgeteilt, angeblich im Rahmen von Untersuchungen zur Master-Bank während der Jahre 2010 und 2013 durchgeführt, dessen Besitzer ein ehemaliger Mäzen des nichtstaatlichen Nikolaj-Roerich-Museums war. Geleitet wurde die Aktion der Untersuchungsorgane allerdings faktisch durch den Berater des Ministers für Kultur, K.E. Rybak, und den Stellvertretenden Generaldirektor des Staatlichen Museums für Orientalische Kunst, T.K. Mkrtychev. Ohne auch nur 15 Minuten auf die Ankunft der Museumsleitung und des Anwaltes des Roerich-Zentrums zu warten veranlasste Herr Mrktychev die gewaltsame Öffnung der Museumstüren durch die Spezialeinheit mit den Worten: „Sie haben keinen historischen Wert“. Die Untersuchungsorgane hatten noch nicht einmal eine offizielle Aufstellung der Museumsgegenstände, die im Zusammenhang mit dem Fall Master-Bank standen. Dies hat der Stellvertretende Minister für Kultur, V.V. Aristarchov, vor der russischen Presse offen zugegeben. Der Berater des Kulturministers, Herr Rybak, legte, nachdem er die Schenkungsurkunden im Zuge der Untersuchung im Museum beschlagnahmt hatte, eigenständig fest, welche Bilder zu beschlagnahmen seien und welche verbleiben könnten. Er argumentierte: „Dies brauchen wir und jenes brauchen wir nicht“. Er gab gar den Vertretern Untersuchungsorgane die Anweisungen, welche Archivdokumente (aus den 90-er Jahren) zu beschlagnahmen seien, obwohl diese keinerlei Bezug zum Verfahren über den Bankrott der Master-Bank (2010-2013) haben. All dies kann bezeugen, dass die Beschlagnahme der Kulturschätze und Archivdokumente gerade im Interesse der von der momentanen Führung des Ministeriums für Kultur der Russischen Föderation verfolgten Politik der Vernichtung eines nichtstaatlichen Museums ist. Die fast 200 unschätzbar wertvollen Bilder und Zeichnungen von Svetoslav und Nikolaj Roerich, die im unabhängigen nichtstaatlichen Museum beschlagnahmt wurden, wurden im Schutz der Dunkelheit in das Staatliche Museum für Orientalische Kunst verbracht.
All dieses Ungeheuerliche geschah vor den Augen der Mitarbeiter des Roerich-Zentrums, die, ohne ein Verbrechen begangen zu haben, beschuldigt oder verdächtig zu sein, fast einen ganzen Tag praktisch unter Arrest standen und denen das Recht genommen war, sich frei zu bewegen und das Museumsgelände zu verlassen. Menschen, die bei der Schaffung und dem Betrieb des nichtstaatlichen Roerich-Museums sowie für die Kultur Russlands einen großen Beitrag geleistet haben, mussten hilflos mitansehen, wie der Berater des Ministers für Kultur der Russischen Föderation und der stellvertretende Direktor des Museums für Orientalische Kunst unter offener und gewissenloser Missachtung rechtlicher und ethischer Normen und unter Verletzung aller Museumsregeln, unterstützt durch Sicherheitskreise, ungestraft und zynisch Gegenstände aus der Sammlung eines nichtstaatlichen Museum in ein staatliches Museum verbringen.
Dieser bewaffnete Raub ist der Höhepunkt rechtsverletzender Handlungen, die in den vergangenen vier Jahren von der Führung des Ministeriums für Kultur der Russischen Föderation und des Staatlichen Museums für Orientalische Kunst gegen das nichtstaatliche Roerich-Museum des Internationalen Roerich-Zentrums ausgeführt werden. Die Vertreter der oben genannten staatlichen Strukturen tun alles dafür, die Tätigkeit des Museums und den guten Namen seiner Mitarbeiter zu diskreditieren und attackieren, den dem Museum gehörenden Nachlass zu beschlagnahmen und aus dem Lopukhin-Anwesen im Herzen von Moskau zu vertreiben. Einem Anwesen, das ausschließlich mit eigenen Kräften und Mitteln des Roerich-Zentrums restauriert wurde, ohne jedwede finanzielle Unterstützung durch den Staat. Besonders empörend ist, dass die Führung des Ministeriums für Kultur der Russischen Föderation ein ihm unterstelltes staatliches Museum, das Staatliche Museum für Orientalische Kunst, als Werkzeug zur Entrechtung und Vernichtung des Nikolaj-Roerich-Museums benutzen, des größten nichtstaatlichen Museums Russlands und Zentrum unabhängiger Kultur im Land.
Mehrfach haben die Mitarbeiter des nichtstaatlichen Roerich-Museums die Leitung und die Mitarbeiter des ICOM Russland um Hilfe und Schutz gebeten. Mehrfach haben wir die Museumsgemeinschaft auf die gesetzwidrigen Handlungen des Ministeriums für Kultur der Russischen Föderation und des Museums für Orientalische Kunst gegen das größte nichtstaatliche Museum Russland hingewiesen. Als Antwort auf alle unsere Aufrufe zur Unterstützung erhielten wir gleichgültiges Schweigen. ICOM Russland hat in keiner Weise auf die Appelle ihres Kollektivmitglieds reagiert. Es wurde noch nicht einmal der Versuch gemacht, sich mit dieser bestürzenden Situation auseinanderzusetzen.
Fast einen Monat nach dem tragischen 7. März erfolgte die bewaffnete Inbesitznahme des Museums. Und ICOM Russland bewahrt nach wie vor sein Schweigen. Im Roerich-Museum verblieb eine verstümmelte Ausstellung, in den Herzen seiner Mitarbeiter unbeschreiblicher Schmerz. Schmerz durch Demütigung, durch psychische und physische Gewalt, die wir am 7. Und 8. März erdulden mussten. Schmerz durch den himmelschreienden Zynismus, mit dem die Führung des Ministeriums für Kultur der Russischen Föderation und des Staatlichen Museums für Orientalische Kunst ein nichtstaatliches Museum zerstört. Schmerz durch die völlige Gleichgültigkeit des ICOM Russland gegenüber der Verhöhnung eines russischen nichtstaatlichen Museums.
Sehr geehrte Kollegen der Führung des ICOM Russland! Mit Ihrer schweigenden Zustimmung geschieht die ungerechtfertigte und gesetzeswidrige Vernichtung des größten nichtstaatlichen Museums Russlands. Eines Museums, das sich würdevoll um den Erhalt unschätzbar wertvollen nationalen Guts kümmert und auch unter unsagbar schwierigen Umständen seine Museumsarbeit aktiv fortsetzt. Ludmila Shaposhnikova, die verstorbene Generaldirektorin des Museums, erhielt für ihren großartigen Beitrag zur Museumskunde und zur Bewahrung des kulturellen Erbes im Jahre 2006 den Freundschaftsorden der Russischen Föderation. 2010 wurde ihr die Auszeichnung der Europäischen Denkmalschutzorganisation „Europa Nostra“ verliehen, 2011 wurde sie für ihren großartigen Beitrag zur Bewahrung des kulturellen Nachlasses mit dem Russischen Staatsorden „Verdienste um das Vaterland“ ausgezeichnet. Das Museum, geschaffen durch sie mit Unterstützung einer breiten Öffentlichkeit, errang verdiente Anerkennung nicht nur in Russland, sondern auch im Ausland. Es wurde zum Anziehungspunkt für all die Menschen, die sich für das Werk der großartigen Roerich-Familie interessieren. Die Tätigkeit des nichtstaatlichen Museums des Internationalen Roerich-Zentrums entspricht allen Regelwerken der Russischen Föderation im Bereich Museumsarbeit, sie hält die höchsten professionellen Standards genauso ein wie die internationalen Standards von ICOM und UNESCO. Das Nikolaj-Roerich-Museum des Internationalen Roerich-Zentrums leistet seine Arbeit zur Verbreitung des kulturellen Erbes auf höchstem internationalem Niveau. Belegt ist dies durch die vielen Danksagungen des damaligen UNO-Generalsekretärs Ban Ki-moon und der Generaldirektorin der UNESCO, Irina Bokova an das Internationale Roerich-Zentrum insbesondere im Jahr 2015, dem 80-sten Jahrestag der Unterzeichnung des Roerich-Paktes und dem 70-sten Jahrestages des Sieges im 2. Weltkrieg, für seine internationale Tätigkeit zur Verbreitung der friedenschaffenden Ideen Nikolaj Roerichs.
Etwas Offensichtliches muss noch erwähnt werden: Mit dem Wechsel der Führung im Ministerium für Kultur der Russischen Föderation im Jahre 2012 änderte sich das Verhältnis dieser staatlichen Einrichtung zum unabhängigen nichtstaatlichen Nikolaj-Roerich-Museum des Internationalen Roerich-Zentrums plötzlich und vollständig. Zur Erreichung des offen erklärten Ziels der Zerstörung des nichtstaatlichen Nikolaj-Roerich-Museums durch das Ministerium für Kultur der Russischen Föderation werden nun alle Mittel eingesetzt. Im Jahr 2013 begann das Ministerium eine Kampagne zur Diskreditierung des Internationalen Roerich-Zentrums und seiner Führung. Diese Aktivitäten mündeten darin, dass man uns extremistischer und sonstiger ungesetzlicher Tätigkeiten beschuldigte. Auf Initiative des Ministeriums für Kultur der Russischen Föderation untersuchte das Justizministerium der Russischen Föderation im Juni 2016 das Internationale Roerich-Zentrum auf extremistische Tätigkeiten und stellte fest, dass die Tätigkeit des Internationalen Roerich-Zentrums nicht extremistisch ist und der Satzung der Organisation in vollem Umfang entspricht. Aber das war nur eine von vielen Untersuchungen. Zur Diskreditierung des Internationalen Roerich-Zentrums wurden durch den Ersten Stellvertretenden Minister für Kultur, V.V. Aristarchov, in den Jahren 2015 und 2015 mehr als 20 außerplanmäßige Überprüfungen des Internationalen Roerich-Zentrums angestoßen, um das nichtstaatliche Museum zu zerstören und sich dessen Exponaten zu bemächtigen.. Darüber hinaus wurden gegen das Internationale Roerich-Zentrum 13 Gerichtsverfahren initiiert. Ist dies etwa keine Bestätigung der zielgerichteten Aktivität der momentanen Führung des Kulturministeriums, ein nichtstaatliches Museum zu zerstören?!
„Die Zerstörung des Museums ist die Zerstörung des Landes“. Diese Worte schrieb Svetoslav Roerich, der fest an die große Bedeutung von Museen und ihrer führende Rolle bei der Bewahrung der Kultur eines Landes glaubte, unabhängig davon, ob ein Museum staatlich, privat oder öffentlich ist. Die vor unseren Augen erfolgende Zerstörung des nichtstaatlichen Museums widerspricht den nationalen Interessen Russlands und untergräbt seinen Ruf auf der internationalen Bühne, indem es seine Unfähigkeit zeigt, sogar anerkannte und bedeutende Kulturinstitutionen vor willkürlichen Handlungen seiner Beamten schützen zu können. In Russland wurde ein Präzedenzfall geschaffen, als ohne Gerichtsentscheid auf Bestellung des Ministeriums für Kultur der Russischen Föderation und unter dem Deckmantel von Ermittlungen Kulturschätze beschlagnahmt wurden, die keinerlei Bezug zu dem laufenden Ermittlungsverfahren haben. Würdevoll feiert die Führung des Ministeriums für Kultur den 100. Jahrestag des Umschwungs in Russland im Jahre 1917, während ohne Gerichtsentscheid die Schätze der russischen Kultur geplündert werden. Wem schlägt hier die Stunde?
Verehrte Kollegen! Als vollwertiges Mitglied des Internationalen Museumsrates (ICOM) bitten wir eindringlich um Ihre dringliche Bewertung und Ihren entschiedenen Protest über die groben und gesetzwidrigen Handlungen gegen das nichtstaatliche Nikolaj-Roerich-Museum des Internationalen Roerich-Zentrums und seiner Mitarbeiter durch die Vertreter des Ministeriums für Kultur der Russischen Föderation und des Staatlichen Museum für Orientalische Kunst. Wir bitten eindringlich um Ihre Intervention und Ihren Schutz vor der groben Verwüstung und Zerstörung des größten nichtstaatlichen Museums des Landes, das mit Recht ein öffentliches nationales Kulturgut Russlands ist.
Hochachtungsvoll,
Mitglieder des Belegschaftsrates des Internationalen Roerich-Zentrums
E.A. Sakharova
V.V. Bajda
I.P.Gerashchenko
M.V. Grishina
T.O. Knizhnik
A.A. Lebedenko
D.J. Revyakin
E.V. Romanova
N.N. Morochkovskaya
T.N. Rumyanceva
D.S. Kulyanica
Quelle des Originals: Website des Internationalen Roerich-Zentrums